Toyota Uralt

Gipfelstürmer wider Willen
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Zehn Gründe, warum Sie niemandem vertrauen sollten, der Sie zu einem Gratis-Ski-Wochenende einladen möchte? OFF ROAD-Autor Jörg Kübler erklärt Ihnen die Tücken einer solchen Offerte.

5.37 Uhr, Temperaturen knapp unter minus 10 Grad, der 1973er FJ 40 rollt stotternd in eine Parkbucht auf der verschneiten Landstraße am Rande der bayrischen Alpen. Wir sind gerade mal 20 Minuten unterwegs, als die Fahrmaschine mit Stottern und Spotzen ihren Dienst quittiert. Stirnlampen raus, Diagnose. Nach 10 Minuten ist die Fehlerquelle in Form eines verstopften Benzinfilters gefunden. Zum Glück gibt das Handschuhfach des alten 3,8-Liters noch einen neuwertigen Filter preis – alles wird gut!

 

Väterchen Frost: Das ganze Unterfangen hat fast russische Züge - Kälte, Kabelbinder und Katastrophen

Der weite Weg ins Eis

Die Vorlage für unsere Geschichte liefern die Arktis-Forscher Scott und Amundsen, die zum Jahreswechsel 1911/12 einen gewaltigen, 500 Kilometer langen Fußmarsch zum geografischen Südpol bewältigten. Dagegen erscheint unser Unterfangen geradezu lächerlich. Knapp 300 Kilometer Distanz zwischen München und dem österreichischen Kühtai zeigt der Routenplaner, nicht zu Fuß, sondern in einem – immerhin offenen – Toyota FJ 40 aus den frühen 70ern. Unsere Tour führt uns durch die tief verschneite bayrische Berglandschaft. Von Bad Aibling über Tölz, den Walchensee und die Leutascher Geisterklamm nach Telfs in Tirol und von dort bis fast an die italienische Grenze nach Kühtai. Das antiquierte Zeiteisen des FJ hat sich gerade mal um 13 schleppende und kalte Minuten weiterbewegt. Schon wieder rollen wir gen Straßenrand, selbes Sypmtom, andere Ursache. Diesmal lokalisiert die Besatzung den Fehlerquell am Vergaser.
Zwei Schrauben haben sich wohl im Laufe eines langen Arbeitslebens aus dem Gehäuse „herausgefressen“, Gewindegänge Fehlanzeige, die ganze Fuhre zieht Falschluft und läuft wie ein Sack Nüsse. Im Niemandsland finden wir eine kleine Auto-Bastelbude, die uns sofort mit den nötigen First-Responder-Teilen und Material versorgen kann. Für 20 Kröten wechseln eine gebrauchte Tube Dirko und 7 handelsübliche Spritfilter den Besitzer – wir sind ausgerüstet. Im Stehimbiss nebenan gibts einen großen Topf schwarzen Kaffee, dann geht die Reparatur bei eisigem Wind – unter den Augen zahlreicher, fachkundiger Passanten – etwas besser von der Hand.
Die freundliche Dame im Café-Shop fragt ungläubig: „Sagts mal Buam, ham eure Eltern koa Geld für a gscheits Auto?“ Wer, bitte, schickt zwei Jünglinge bei diesen Temperaturen im Cabrio in die Berge? Wir sind harte Jungs und haben uns unser Schicksal selbst gewählt. Zugleich mischt sich ein älterer Herr ins Gespräch ein und beginnt mit folgenden Worten: „1944 in Russland ...“ Danke, wir wissen Bescheid. Können den verbalen Ausführungen des Russland-Veterans gerade noch entkommen und genießen das sonore Brummen des neu belebten Benziners – noch 284 Kilometer.

 

Pfadfinder Fischer

Hinter Bad Tölz verlassen wir die Hauptstraße und wollen uns in die Botanik schlagen. Navigationswunder Fischer kennt da „noch einen Weg von früher“... Verdammt, ich hätte es wissen müssen! Nach knapp 3 Kilometern hat der Spaß ein Ende, der weiße Toyota hängt bis zur Mitte der nicht vorhandenen Türen in einer Schneewächte fest, dass nichts mehr vor und zurück geht. Weder Reduktion noch Achssperren mögen uns aus dieser misslichen Lage befreien. Guter Rat ist teuer, doch Ex-Pfadfinder Fischer sieht zum momentanen Zeitpunkt noch keinen Grund zur Kapitulation – ja, ja, ich weiß „1944 in Russland ...“ und so weiter.
Zum Glück haben wir in weiser Voraussicht einen Greifzug an Bord. Obgleich aus Opas Werkstatt entliehen und entsprechend alt, zeigt die mechanische Bergehilfe bald erste Erfolge. Das größte Problem ist die kleine Fichte, an der das gesamte Bergeequipment Halt finden soll – na ja, wenn jemand aus der Region Brennholz braucht ... wir hätten noch die Koordinaten. Fähnlein-Fieselschweif-Chef Fischer grinst über beide Ohren ob der erfolgreichen Bergung und schmiedet sofort Pläne für den weiteren Offroadeinsatz, denn er kennt da noch einen Weg ... Ich bin fürs Erste bedient. Leichter Schneefall setzt ein.
Die zweistufigen Scheibenwischer kämpfen um ihr Leben, erzeugen einen noch stärkeren Schmierfilm. Gegen den Schnee vermögen die antiken Reinigungsgeräte jedoch nichts auszurichten – im Blindflug und Schritttempo geht‘s Richtung Walchensee. Der von den Reifen aufgewirbelte Schneematsch dringt durch die Türöffnungen direkt ins Innere unseres Oldies und sorgt dafür, dass die Scheibe zusätzlich von innen verdreckt. Co Fischer fährt meist stehend auf dem Getriebetunnel und wischt mit einem fast sauberen Lappen (außen wie innen) um sein Leben – danke!

 

Haftungs-Ausschluss: Was um alles in der Welt sind Haftreifen?

Frei nach Wolfgnagn Ambros: "Am Freitog auf d´Nocht montier i di Schi auf mei Auto ..."

Was sind Haftreifen?

Die Kälte kriecht mittlerweile durch die vielschichtige Kleidung. Zwiebelprinzip nennt‘s unser Outdoorkönig, ich nenne es SAUKALT! Die originale Toyota-Heizung – werksseitig sicherlich nicht für Open-Air-Einsätze im Winter konstruiert – bläst ein laues, nicht wirklich wärmendes Lüftchen in den offenen Innenraum. Was solls? Zähne zusammenbeißen und weiter. Noch schlappe 189 Kilometer. Plötzlich taucht – vor einer mächtigen Steigung – ein Schild mit folgendem Warnhinweis auf: „Nur mit Haftreifen oder Schneeketten befahrbar.“ Schneeketten Fehlanzeige. Und was um alles in der Welt sind Haftreifen? Bevor mein Navigations- und Foto-Pfadfinder wieder auf skurrile Ideen kommt, beschließe ich, die Warntafel einfach zu ignorieren, um nicht stundenlange Diskussionen und wirre Vorschläge auf mich niederprasseln zu lassen – alles wird gut. Von wegen! Die MT117 Silverstone-Reifen – Baujahr sollte dem Herstellungsdatum des Fahrzeuges entsprechen – versuchen, sich mit aller Mühe ins festgefahrene Eis zu krallen. Zur Mitte des Aufstieges (19 Prozent sind kein Pappenstiel!) bewegt sich die Fuhre mehr seit- als vorwärts. Ich schalte in Reduktion, die gefütterten Treter der Marke „Weihnachtsmann“ sind zum gefühlvollen Bedienen des Gaspedals nicht wirklich von Vorteil. Dennoch erreichen wir nach knapp einer Stunde die Passhöhe am Walchensee.

 

Zurück zu den Anfängern: Kollege Fischer setzt auf biologisch abbaubare Schneeketten.

Badewanne oder Bärwurz?
Hier wird mir von meinem Beifahrer zunächst das Geheimnis der mitgeführten Zaunlatten – Pardon! Er nennt es Ski – erklärt. Sie stammen ebenfalls aus Opas Fundus und sollten auf jeden Fall mit aufs Bild, zudem könne ich meinen Stil perfektionieren. Ein abgesägter Baumstamm dient als „Abschussrampe“, Sven Hannawald würde sich ob meiner Performance wohl lieber von Milka lossagen und sich eine Kugel Rocher verpassen, anstatt diesem Trauerspiel beizuwohnen. Der Nachmittag zieht ins Land, die Wolken werden immer dichter – Schnee liegt in der Luft. Noch schlappe 120 Kilometer bis in die verlockend heiße Badewanne des Hotels – ich kann mich kaum noch von diesem Gedanken lösen. Doch wieder habe ich die Rechnung ohne meinen Beifahrer gemacht. Beim Durchstöbern des Handschuhfaches stößt Multitalent Fischer auf eine noch ganz jungfräuliche Flasche Bärwurz. „HP-Geländewagentechnik“ prangt in gelb-blauen Lettern als Werbebotschaft auf dem niedlichen Wärmespender. Knapp 66 Umdrehungen verspricht die Aufschrift – wohl bekomms! Der von innen gewärmte Beifahrer läuft zu Höchsttouren auf, das promillehaltige Wurzelgetränk entfaltet seine Wirkung und Herr Fischer träumt bereits von der Erstbefahrung des K2. Noch knapp 100 Kilometer. Wir durchfahren das Leutaschtal, das Thermometer zeigt freundliche minus 2 Grad, der Schneefall nimmt zu. Die Eigenbau-Auspuffanlage hat sich kurz hinter Garmisch-Partenkirchen ihres Schalldämpfers entledigt, für Schallschutz sorgt lediglich noch ein gewaltiger Fächerkrümmer.
Schlimmer noch, die Abgase dringen durch den Getriebetunnel direkt ins Innere des Oldies – zum Glück sind wir oben ohne unterwegs, sonst wären die Folgen der illegalen Schalldämpferentsorgung deutlich folgenschwerer. Nach seinen Auftritten als Fotograf, Copilot und Chef-Pfadfinder wechselt Fischer erneut das Genre, jetzt habe ich es mit einer Mischung aus McGyver und A-Team zu tun. Panzertape, eine Rolle Draht (natürlich aus dem Handschuhfach) und ein am Wegesrand geortetes Stück Flexschlauch sollen die Geruchsbelästigung im Innenraum dank gezielter Umleitung des Abgasstroms dauerhaft eliminieren. Was soll ich sagen? Die Instandsetzung dauert „lächerliche“ 16 Minuten, die Halbwertszeit der Eigenbauanlage beträgt genau 30 Sekunden.


Von wegen Spazierfahrt: Kurz vor Einburch der Dunkelheit zieht ein mächtiger Schneesturm auf.

Ankunft mit Hindernissen

Kühtai 19 Kilometer – endlich Licht am Ende des Tunnels. Die letzten Meter werden allerdings zum Desaster. Schneepflüge stehen bereits am Wegesrand, kein Durchkommen für die nächsten Stunden. Sie werden es nicht glauben, aber auch hier hat der Copilot den entscheidenden Riecher. Die Hanfseile, mit denen die Ski am Toyota FJ 40 fixiert waren, werden kurzerhand in biologisch abbaubare Schneeketten umfunktioniert – wie damals in ... Sie wissen schon. Es funktioniert, die Kiste krabbelt langsam den Berg hinauf, der Kollege triumphiert, ich bin mit den Nerven am Ende.
Wir erreichen Kühtai bei Einbruch der Dunkelheit in einem ausgewachsenen Schneesturm. Die Schneehöhe im Fahrzeug beträgt mittlerweile satte 28 Zentimeter, das Scheinwerferlicht der 12-Volt-Funzeln wird vom Sturm geradezu verschluckt. Noch 900 Meter, ich sehe das rettende Ziel. Ein Bier, ein Bad, ein Bett – so bescheiden ist meine Wunschliste für die Nacht, doch wieder habe ich die Rechnung ohne meinen Begleiter gemacht.
In Kühtai angekommen, lassen wir das Berghotel rechts liegen, folgen einer noch tieferen Fahrspur und landen an der Talstation des Lifts. Dort wartet Ludwig auf uns. Luuuudwig? Ja, Ludwig ist ein waschechter Packesel Marke Super-Stur und soll uns auf die vom Kollegen ausgesuchte Hütte bringen. Bitte? Herr Fischer grinst ein wenig verlegen und erklärt: „Es sind wirklich nur 600 Höhenmeter, dann sind wir oben.“ Bier, Bad und Bett – Fehlanzeige.

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T | Jörg Kübler F | Uwe Fischer

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