Südamerika Teil 2

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Auf der Suche nach der perfekten Welle schlagen wir uns durch Südamerika. Der Weg ist das Ziel. Hart empfängt uns der Macho-Kontinent. Langsam verführt er uns mit seiner weichen, angenehmen Seite.



5 Uhr morgens: Uyuni-Salzsee. Gefrorene Wasserflaschen. Langsam taucht die Sonne über der Salzkruste auf – Adagio für die Sinne:
Die atemberaubende Szenerie der Salzwüste erwacht. Die Natur raubt uns nicht den Atem, vielmehr genießen wir jeden einzelnen eiskalten Zug. Wir hauchen frostige Nebelschwaden, während wir uns ganz der berührenden Faszination des Nichts hingeben: Weiß, kahl, platt und wahnsinnig beruhigend, zieht uns der Salar de Uyuni mit seinen 160 Kilometern Länge und 135 Kilometern Breite in seinen Bann.

Die spannende Einöde ist die größte zusammenhängende Salzfläche der Erde, mit einer Salzkruste von zwei bis sieben Meter Dicke. Wir laden unsere alltagsgestressten Batterien auf – hier, auf einem der weltweit größten Lithiumvorkommen. Laut U.S. Geological Survey wird das Vorkommen des Alkalimetalls auf rund 5,4 Millionen Tonnen geschätzt. „Platz der Lasttiere“ lautet die Übersetzung des Aymarawortes Uyuni. Sie transportieren die Lebensgrundlage dieser Region und den Grund für deren Bekanntheit: das wertvolle Salz.



Rallye Dakar-Etappenstart


Unser Spieltrieb erwacht. Nicht weit von unserem Camp liegt der Etappenstart der Dakar. Rallye-Feeling: Vollgas geht es von hier über den Salzsee. Unser Defender schlägt sich gut, leider müssen wir uns letztendlich doch einem der Gs geschlagen geben. Bei Höchstgeschwindigkeit erkunden wir ge­nuss­voll die Ausmaße des Uyuni-Salzsees. Überrascht entdecken wir auf diesem so unwirtlichen Terrain eine kleine Erhebung, eine Insel mitten im Nichts, pittoresk bewachsen mit meterhohen, fotogenen Kakteen.

Im Übrigen auch der vornehmliche Baustoff der kleinen Bauwerke auf dem Eiland. Türen aus Kakteenholz, dessen natürliche Perforation sein stacheliges Vorleben erahnen lässt. Dahinter verbirgt sich das ganze Gegenteil: Coca-Tee und zartes, vorzüglich weiches Alpaka-Steak, ein Genuss. Die wohlig sedierten Sinne werden fast unmerklich von zunächst ganz leiser, kaum hörbarer Musik eingelullt. In der bizarren Szenerie erreichen uns zum Dessert klischeehafte Panflöten-Klänge der heimischen Band INTI FUSION, die sich den mys­tischen Ort als Musikvideo-Location ausgesucht hat. Obgleich die Konversation mit den Musikern nur schwer möglich ist, sind sie seither auf unserer Facebook-Freundesliste zu finden.



Von der absoluten Ruhe führt uns die Expedition in den hektischen Moloch La Paz.Mehr Kontrastprogramm geht kaum. Stressig, hektisch, dampfig – wir fremdeln mit der Überzivilisation und sehnen uns nach Natur. Die allerorten anzutreffenden, in merkwürdige Zebrakostüme gekleideten Straßenlotsen, die versuchen, Kinder über die unübersichtlichen Kreuzungen zu guiden, stillen diese Sehnsucht kaum. Wem's gefällt, der kann sich auch als Touri dieser Freiwilligen-Organisation anschließen und beim Überqueren der Fahrbahn helfen. Mein Co navigiert mich nächtens völlig unwissend in die Spelunke „Route 36“, deren Degustationsmethoden uns noch lange im Kopf begleiten.

Hier nimmt das Klientel aus aller Herren Länder eher selten einen Drink zu sich, die Spezialität in diesem Etablissement sind auf Porzellantellern servierte Kokslines. Wir nehmen von einer Bestellung dankend Abstand und freuen uns, leicht geschockt, auf eine ruhigere Weiterfahrt, abseits der kriminellen Metropolen.



Camino de la Muerte

Wir flüchten in andere Richtung – raus aus der Stadt! Mit zwei Fahrzeugen begeben wir uns auf Legendensuche und erproben Fahrzeug und Pilot auf der namensgewaltigen „Death Road“, während der Rest der Truppe die Großstadt erkundet. Die Death Road oder (wie die Bolivianer die Yungas-Straße nennen) El Camino de la Muerte fordert mörderische Konzentration, nicht allein ihrer Anatomie geschuldet, sondern vornehmlich dem Linksverkehr.

Die einst gefährlichste Straße der Welt ist durchaus anspruchsvoll, aber, wie wir am Ende unseres Trips resümieren, fahrerisch bei Weitem nicht die schwerste Passage auf unserer Reise über die Südhalbkugel.Vor unserem nächsten Etappenziel, dem Titicaca-See, überqueren wir noch die Grenze zwischen Bolivien und Peru: Strange Sitten. Hier reduziert sich der Verkehr plötzlich auf Pedalkraft. Die Einheimischen passieren diese Grenze fast ausschließlich zu Fuß oder per Fahrrad, gerne auch auf Lastenrädern, legitimiert durch Nummernschilder.



Den lokalen Gesetzen geschuldet. Alles, was auf einem nicht motorisierten Gefährt transportiert werden kann, ist nicht zollpflichtig. Wir stehen im Fahrradstau! Das hat für uns Seltenheitswert.Wir erreichen den Titicacasee, den größten Süßwassersee Südamerikas, flächenmäßig vergleichbar mit Korsika. Beachtlich nicht nur was die Weite angeht, sondern besonders die Höhe: Er ist der höchstgelegene schiffbare See der Welt. Leider aber auch einer der meistverschmutzten.

Alle Anstrengungen seitens der peruanischen und bolivischen Regierungen, dieses Kleinod zu retten, liefen bisher ins Leere. Es bleiben chancenlose Bemühungen, solange die angrenzenden Minen weiter ihr Abwasser in den Titicacasee einleiten. Zum tödlichen Ergebnis für Flora und Fauna. Hier hilft nur die Flucht auf die Rettungsinsel „Isla Suasi“. Ein wunderschönes Plätzchen Erde, das an Yogis Paradise erinnert. Mega entspannt. Wer noch nicht esoterisch ist, sollte aufpassen, dass er es hier nicht wird. Fast sind auch wir versucht, Dankesgaben an heiligen Orten abzulegen, wie dies die sehr naturreligiös verbundenen Peruaner tun, die in Erdhöhlen oder kleinen Verste­cken Opfergaben der Mutter Erde geben, auf dass sie ihnen weiter wohl gesonnen bleibe. Für die Ernte.



Und da sind wir auch gleich beim ganzen Stolz der Isla Suasi angelangt: An Chinoa kommt hier, egal wie, keiner vorbei! Qualität höchster Güte, den Einheimischen zufolge dank der höchsten Anbauhöhen. Die beste Quinoa, sagen sie, komme ganz sicher aus Peru, ihrem Ursprungsland, und sei weit besser als die „billige” Kopie aus China. Macho-Südamerika verführt uns Kilometer um Kilometer, von einem Highlight zum nächsten und langsam verlieben wir uns in den weichen Kern des Halbkontinents, der uns anfangs seine harte Schale zeigte.

Die unglaublich schöne Kolonialstadt Cusco glänzt mit ihrem historischen Erbe, das ihren Charakter prägt. Wir nächtigen im „Monasterio“, einem ehemaligen Kloster, gastfreundlich und voller Flair – nur mit dem früheren, kargen Klosteralltag hat unsere Herberge rein gar nichts mehr zu tun. Luxus pur. Unsere südamerikanische Zeitreise führt uns von der Kolonialzeit in eine weit frühere Epoche. Im Sacred Valley starten wir zu der bedeutendsten Inkastätte Perus.

Das heißt auch Umsteigen – Machu Picchu ist nur mit dem Zug oder in einem mehrtägigen Fußmarsch erreichbar. Wir entscheiden uns für den Zug, genießen den Szenenwechsel. Der mystische, terrassenförmig angelegte Ort bezaubert uns mit sedierender Ruhe und beflügelt gleichermaßen unsere Phantasie – wie auch die der Forscher bis heute –, was es mit diesem Ort wohl auf sich gehabt haben möge.

Bis dato ein ungeklärtes Geheimnis der Menschheitsgeschichte. Ich denke kurz zurück an meine Reiseplanung im winterlichen München, wo mich ein Facebook-Post inspirierte, den Machu Picchu erneut zu (be-)suchen, lasse meine Augen über das wellenförmige, harmonische Grün gleiten und genieße diesen magischen Ort in der Gewissheit, dass sich die längere Anfahrt gelohnt hat.



Auf ein Bier mit der Polizei

Das Innehalten setzt sich am kommenden Tag unfreiwillig fort: Unser Defender springt nicht an. Erzwungener Stillstand. Die Tankanzeige steht auf null, der Tank ist jedoch komplett voll. Von der Einbildung lässt sich unser Landy nur durch eine zeitraubende Extremmaßnahme abbringen: Tank raus und wieder rein. Es klappt. Überlistet. Die Gruppe hatten wir bereits vorausfahren lassen und müssen nun erneut durch nächtliche Aufholmanöver versuchen, den Anschluss an die anderen zu finden. Fahren, fahren, fahren. Im Dunkeln. Plötzlich erscheint im schwarzen Nichts ein Schlagbaum. Strumpfsockert steige ich vom Beifahrersitz aus und öffne die spartanische Sperre problemlos.



Abruptes Aufwachen: Mit Sturmgewehr im Anschlag reißt mich ein schwer bewaffneter Polizist aus dem Halbschlaf. Auf Spanisch werden wir vehement belehrt, dass die Straßensperre nicht grundlos die Weiterfahrt ausbremst. Das Befahren dieser Strecke sei ab 22 Uhr grundsätzlich verboten, um den virulenten Drogenschmuggel einzudämmen. Während der mittlerweile überaus freundliche Grenzpolizist versucht, eine Sonderbewilligung für uns zu organisieren, vertreiben wir uns das Warten mit einem gemeinsamen Bierchen und illustren Selfies.

Beim Anpros­ten fragt der Polizeikommandant: „Habt ihr Waffen dabei?“. Etwas irritiert kommt unser „Nö“. „Das ist aber schlecht!“ Derartige Tipps haben wir in Europa noch nie von der Polizei bekommen. Südamerika ist eben etwas ruppiger in seinen Sitten. Nach erfolgreich organisierter nächtlicher Weiterfahrt pingt am nächsten Morgen unser Whatsapp – der Polizeikommandant entschuldigt sich für die Verzögerung und bedankt sich nochmal herzlich für unseren netten Besuch.

Wie gesagt – harte Schale, weicher Kern. Stressfrei surfen wir über die Anden und knacken am Huayraccasa-Pass mit seinen 5059 Metern ü. M. endlich die 5000er-Marke, an der wir vor Wochen in Argentinien knapp gescheitert waren.



Genuss für alle Sinne

Das Ende unserer Reise kommt Kilometer um Kilometer näher. In nördlicher Richtung lassen wir uns an der Westküste Richtung Ziel treiben. Und verwöhnen. Mit elegischen Ausblicken aufs Meer und köstlichem Ceviche – der typischen Nationalspeise der Region, rohem, klein geschnittenem Fisch, der mit Zitronen- oder meist Limettensaft – „leche de tigre“, Tigermilch also –­ ­­mariniert wird.

Die Säure lässt das Eiweiß im Fisch denaturieren – ähnlich wie beim Kochen. Diesem derart schonend „gegarten“ Gericht werden je nach Region noch rote Zwiebeln, Kräuter und Gewürze beigemengt. Ein wahnsinniger Genuss, so frisch und schmackhaft wie nirgends sonst. Fast könnte man das wahre Ziel unserer Expedition vergessen: die Suche nach der perfekten Welle. In Mancora werden wir fündig. Und verlieren uns im Gück darüber, während der Rest der Gruppe beim Wale-Watching einer anderen Faszination des Meeres erliegt.

Wir folgen der Panamericana. Nach einer kalten, hohen und kurzen Stippvisite durch das Vulkanland Ecuador und der als Weltkulturerbe geadelten Kolonialstadt Quito, die übrigens die höchstgelegene Hauptstadt der Welt ist, überqueren wir den Äquator. Auf der folgenden Fahrt durch Kolumbien lässt der Kontinent nochmal kurz seine Muskeln spielen. In Medellin und Umgebung zeigt uns die Realität von Straßenkontrollen, Tequila-Orgien und Kampf gegen Drogenschmuggel, was Kartell wirklich bedeutet haben muss. Einst.

Jetzt kämpft die Exekutive erfolgreich gegen die Kriminalität. Medellin zeigt sich aufgeräumt, sauber, gestutzt zur Legalität. Das sichere Terrain verführt uns zu anderem Genuss: beste Drinks und Tequila. Verschwommene Sinne, selbst die grotesk dicken Frauen von Fernando Botero trinken wir uns schön. Leider haben wir hier eine andere Grenze überschritten: die der guten Dosierung. Hangover. Diesmal nicht Kopfschmerz aufgrund der schwindelerregenden Höhen in den Anden. Diesmal selbst verschuldet.



Aber eben auch Schwindel.Erholung finden wir auf den letzten Etappen Richtung Cartagena. Nach einer schwierigen Suche finden wir in einem wild-romantischen Palmenhain eines der letzten Camps unserer Reise. Gereizt von den Kontrasten (stärker hätten die Amplitudenausschläge zwischen Metropolen und traumhaften landschaftlichen Szenerien wahrlich nicht sein können), sitzen wir in malerischer Landschaft im Campingstuhl und sinnieren über Kolumbien: Was für eine fatale Drogenproblematik damals, die weltweit das Bild von diesem Land leider bis heute zeichnet.

Nicht ohne Grund, wie wir erleben mussten; und dabei geht die wahre Schönheit Kolumbiens vollkommen unter. Ein verkanntes landschaftliches Paradies, wie schade, dass man hier auf die falschen Ressourcen setzte und damit den Imageschaden untermauert. Da helfen auch die künstlerischen Talente mit spektakulärer Graffiti-Art nicht. Wir sind in Cartagena angekommen.

Wir sind echte Freunde geworden. Wir haben nicht nur die perfekte Welle gefunden, wir haben einen perfekten Roadtrip erlebt. Keine Liebe auf den ersten Blick, eine behutsam gewachsene, intensive Zuneigung mit Tiefgang.

Manchmal muss man sich einfach einlassen, dann hält die Liebe länger an. Wir werden Süd­amerika lange nicht vergessen. Und vermissen.



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